FORSCHUNG AUSTRIA WORKSHOP 2017
Do., 24. August 2017, 09:00-11:00 Uhr
Alpbach / Hotel Böglerhof, Fichtensaal
Mit der radikalen Ausbreitung der Digitalisierung gewinnt Innovation in Richtung neuer Geschäftsmodelle und Produkte immer mehr an Bedeutung. Um im digitalen Wettlauf vorne mit dabei zu sein – sowohl als Unternehmen, als auch als Staat Österreich – sind schnelle Reaktionen und beschleunigte Innovationsprozesse gefordert. Wie kann und soll die regionale Forschungspolitik diesen Herausforderungen begegnen und welche Strategien Unternehmen und Forschungseinrichtungen verfolgen? Im Rahmen des diesjährigen Forschung Austria-Workshops diskutierte eine hochkarätig besetzte Runde diese und weitere Fragen rund um die derzeit auch medial omnipräsenten Themen Digitalisierung und Innovation.
Für Dr. Klaus Pseiner, Geschäftsführer der Österreichischen Forschungsförderungsgesell-schaft, stellt die Digitalisierung ein spannendes und relevantes Thema dar, das auch bei der FFG selbst zu einem organisationsinternen Wandel – Stichwort zeitgemäße, elektronische und einfache Dienstleistungsgebung – führe. 150 Mio.Euro des FFG-Budgets gehen bereits – über verschiedene Programmschienen – in den Bereich Digitalisierung, wobei ein pluralisti-scher Programmmix für ForschungsförderungsnehmerInnen für Themen rund um Digitalisie-rung(sprozesse) und die Entwicklung von Schlüsseltechnologien zur Verfügung steht. Stell-vertretend für die FFG plädiert Pseiner auch für ein breiteres Innovationsverständnis im Zu-sammenhang mit Industrie 4.0 und Digitalisierung. Die Zukunft der Forschungsförderung ori-entiere sich bereits am digitalen Wandel: Bereits bestehende Programmformate werden fort-geführt, zusätzliche neue Programme stellen mehrere Millionen Euro für die erfolgreiche Um-setzung von Forschungsprojekten, deren Fokus auf der Implementierung von digitalen Pro-zessen und Innovationen liegt, bereit.
Welchen wesentlichen Stellenwert Beratungsleistungen im Rahmen der Digitalisierungspro-zesse aufweisen, verdeutlicht DI Roland Sommer, Geschäftsführer von „Industrie 4.0 Öster-reich – die Plattform für intelligente Produktion“. Der 2015 gegründete Verein sieht sich selbst als „Community für „betroffene“ Unternehmen und Mitglieder“. Der Arbeitsschwerpunkt liegt dabei auf der Koordination und Erarbeitung von Inhalten und Strategien, um die Rahmenbe-dingungen – auch durch Implementierung in die politischen Entscheidungsprozesse – für die Digitalisierungsprozesse zu verändern und verbessern. Für Sommer ist eine der zentralen Kernaufgaben von Industrie 4.0 klar. „Es ist nicht das Ziel, Standards in Österreich zu entwi-ckeln und diese zu weltweiten Standards zu machen, sondern zu informieren, welche es überhaupt gibt.“ Den Informationsbedarf dazu sieht er als gegeben und auch als hilfreich. „Auch die Rückmeldungen, die wir dazu erhalten, sind sehr positive.“ Viele Unternehmer hät-ten, so betont Sommer, das Gefühl, Standards nicht beeinflussen zu können. Hier entwickle sich – besonders durch die Beratungsleistung – das Gefühl, dass auch österreichische Unter-nehmen offensiver agieren könnten und sich nicht nur als Empfänger der Standards von In-dustrienationen fühlen.
Für eine verstärkte Orientierung an den Wünschen und Anforderungen des Kunden plädiert Univ.-Prof. Dr. Manfred Tscheligi, Head of Center for Technology Experience des AIT – Austrian Institute of Technology. Digitalisierung beinhalte die Notwendigkeit, auch für den Menschen einen Nutzen zu haben: „Bevor man über eine technologische Umsetzung redet, sollte man über die sogenannte Experience und Wirkung auf den Benutzer nachdenken – der kauft das Produkt schließlich auch“. Sehr selten allerdings werde die User-Experience als KPI verwendet. Ein Fehler, vertrete man die Auffassung „People don’t buy products, they buy experiences“. Junge Unternehmer würden dieses Faktum verstehen, was ihnen aber fehle sei das Wissen über die Methoden. Für den Investor sei die Experience-Frage jedoch im Ide-alfall die entscheidende. Worauf Tscheligi verweist ist, dass es keinesfalls immer Prototypen brauche, um den Experience-Faktor eines Produkts überprüfen zu können. Man könne auch sehr gut über Modelle und Statistiken vorab berechnen, wie die Akzeptanz des zukünftigen Produkts sein wird. Werden solche Methoden angewandt, ließe sich auch die Wahrschein-lichkeit eines Investments erhöhen, „weil man dann weiß, dass es irgendwer braucht, irgend-wer haben will.“ Die österreichischen Unternehmen sieht er hinsichtlich Digitalisierung auf einem sehr guten Weg. Ein Umstand, dem auch Pseiner und Sommer zustimmen. „Es gibt eine Reihe von österreichischen Firmen, die auch im internationalen Umfeld sehr weit sind.“
Mit einer Publikationsempfehlung des eigenen Hauses, die den Status quo des Themas Digi-talisierung und Industrie 4.0 beinhaltet, beginnt Dr. Siegfried Reich, Geschäftsführer der Salzburg Research Forschungsgesellschaft, seinen Vortrag. Seit Jahren geistern beide The-men durch die Medien und die einzelnen Branchen, ein tatsächlicher Hype sei allerdings erst in den letzten Jahren feststellbar. Gleichzeitig dazu sei, so hält Reich fest, auch ein Mangel an Verständnis für und Wissen über Digitalisierung und die damit verbundenen Themenbereiche bemerkbar. Dabei sei die mehrheitliche Meinung der Unternehmen, dass „es eigentlich keine Alternative“ zur fortschreitenden Digitalisierung gebe; die Frage sei nicht ob man automatisiert und digitalisiert, sondern wie rasch man diese Prozesse als Unternehmer abwickle. Sich und das Unternehmen für diese neue Ära zu öffnen, falle einigen schwer. Unter Industrie 4.0 sei derzeit noch ein starker Fokus auf den Bereich Automatisierung bemerkbar. In einigen Jah-ren, so ist sich Reich sicher, werde Industrie 4.0 stärker als eigentliches Geschäftsmodell verstanden werden. Neben der Abstimmung mit den Stakeholdern im Wertschöpfungsnetz-werk sei auch die IT- und Datensicherheit ein wichtiger und nicht zu vernachlässigender As-pekt. Es sei äußerst wichtig zu wissen, welche Szenarien im schlimmsten Fall eintreten könn-ten. In dieser Hinsicht sei es besser, man werfe gesammelte Daten weg, als diese zu horten und zu sammeln – im Sinne von „irgendwann könnten wir sie brauchen“. Besonderen Stellenwert hat für Reich die Frage der (Aus-)Bildung, des Erwerbs des Rüst-zeugs, um für die Industrie 4.0 ideal vorbereitet zu sein. Die Zuschreibung der Wichtigkeit gegenüber MINT-Fächern sei plausibel, dennoch sei der Fokus auf diese Bereiche viel zu eng gedacht. Auch ein hohes Maß an Kreativität sei relevant und für ein Unternehmen mehr als notwendig. Man benötige zwar Menschen, die Daten lesen und interpretieren können, wenn es aber an der Kreativität des Einzelnen mangle, diese Daten auch entsprechend kreativ zu verwerten, helfe alles Wissen aus den Bereichen der MINT-Fächer nichts. Zwei besondere Wünsche richtet der Geschäftsführer abschließend an die Politik: die Harmonisierung der gesetzlichen Reglements sowie die Erweiterung der Technologieförderung.
DI Klaus Oberreiter, tätig im Technology/Strategy Management der Upper Austrian Rese-arch GmbH, legt den Fokus seines Vortrages auf Aktivitäten, die in Oberösterreich zum Thema Digitalisierung 4.0 gelegt wurden; einem Bundesland mit starkem Produktionsfokus. Industrie 4.0 berge für große wie auch kleine Unternehmen Risiken, sie biete aber auch viele Chancen. Das Bild, das man derzeit noch von Arbeit habe, werde sich verändern, ebenso wie Arbeitsplatz- und Ausbildungsprofile. Relevant sei aber, dass man die vielfältigen Chancen erkenne, die die Änderungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte mit sich bringen. Es gehe um die „intelligente Kombination“ und Möglichkeiten durch hybride Wertschöpfungen. Oberösterreich ist, so Oberreiter, im Bereich „Digital Industries“ führend, aber auch er sieht die wohl größte Herausforderung in der Findung von geeignetem Personal: „Den Bedarf an qualifizierten Personal zu decken wird das größte Problem werden“. Gegen eine Annahme, die derzeit von vielen heimischen Unternehmen vertreten würde, sträubt sich Oberreiter: Im Zuge des Wandels werde es nicht passieren bzw. möglich sein, alles komplett neu zu errich-ten, etwa eine komplett neue Fabrik unter Berücksichtigung des Digitalisierungsschwerpunk-tes zu bauen. Es müsse zur Integration von Innovationen in etwas Bestehendes kommen, nur so sei der Wandel (auch finanziell) bewältigbar.
DDr. Herwig W. Schneider, Geschäftsführer des Industriewissenschaftlichen Instituts (IWI) und Mitglied der ACR – Austrian Cooperative Research sieht die Kernbegriffe der Tagung, Digitalisierung und Industrie 4.0, als zu eng gedacht – Konnektivität sei das eigentliche Haupt-thema. Der bloße Fokus auf Digitalisierung bedeute, dass man sehr schnell in einen Bereich komme, wo es nur darum geht, Sachen upzudaten und dadurch (besser) verkaufbar zu ma-chen – das Digitalisierungsthema sei allerdings wesentlich komplexer und in dieser Hinsicht auch schwerer zu transportieren. Für ihn lautet daher auch eine zentrale Frage, wie man Per-sonen über die anstehenden bzw. bereits ablaufenden Prozesse und Änderungen informiert, „wie man über Dinge erzählt, über die man nicht so einfach reden kann.“ Er plädiert dafür, die Angst vor dem Schlagwort „Industrie 4.0“ zu verlieren und den Wandel weniger als eine Ge-fahr zu begreifen. Als ebenso wichtig erachtet Schneider, das man „alles etwas systemkriti-scher sehen darf.“ Lob kommt von ihm für die österreichische Wirtschaft; zentrale Branchen arbeiten hier bereits zusammen, der Wirtschaftskreislauf funktioniere dadurch. In weiterer Folge sei durch diesen Modus Operandi die Beschäftigung gesichert, Österreich besitze gute Zukunftsaussichten. Hervorgestrichen wird von ihm, dass das „Silo-Denken“ in Österreich langsam verschwinde; es komme immer mehr und häufiger zu einem institutsübergreifenden Denken bzw. einer solchen Vernetzung, die durchwegs für alle Beteiligten Vorteile mit sich bringe. Wichtig sei – neben über den Wandel und den damit verbundenen Chancen und Risi-ken informierten Geldgebern – dass die Entwicklung, die ohnedies nicht mehr aufzuhalten sei, angenommen und umgesetzt werde. Besonderen Stellenwert haben für Schneider dabei die Netzwerke von Unternehmen. Auf den Input Sommers, dass große Unternehmen einen klaren Vorteil hätten, weil sie mehr investieren können, kontert Schneider, dass nicht die Größe des Unternehmens schlussendlich zähle, sondern die Netzwerke, die dieses aufweisen könne. Gerade aus diesen Netzwerken resultieren schlussendlich technologische Kompetenz und entsprechende Wertschöpfungsketten. „Das Tempo und die Bereitschaft den Weg hier mitzugehen muss vorhanden sein.“
PROGRAMM:
- Begrüßung: DDr. Gabriele AMBROS | Präsidentin, Forschung Austria
- FÖRDERLANDSCHAFT, START UPS & CO - Dr. Klaus PSEINER | Geschäftsführer, Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (Präsentation zum DOWNLOAD)
- INDUSTRIE 4.0 - DI Roland SOMMER, MBA | Geschäftsführer, Industrie 4.0 Österreich – die Plattform für intelligente Produktion (Präsentation zum DOWNLOAD)
- START UPS AND TECHNOLOGY EXPERIENCE - AIT - Univ.-Prof. Dr. Manfred TSCHELIGI | Head of Center for Technology Experience, AIT Austrian Institute of Technology (Präsentation zum DOWNLOAD)
- DIGITALE TRANSFORMATION DURCH INDUSTIRE 4.0 UND NEUE GESCHÄFTSMODELLE - Dr. Siegfried REICH | Geschäftsführer, Salzburg Research Forschungsgesellschaft (Präsentation zum DOWNLOAD)
- REGIONALE AUSSCHREIBUNGEN DIGI-FIT UND DIGI-VALUE - DI Klaus OBERREITER, MBA | Technology / Strategy Management, Upper Austrian Research (Präsentation zum DOWNLOAD)
- DIE DIGITALE PRODUKTION - DDr. Herwig W. SCHNEIDER | Industriewissenschaftliches Institut (IWI) / ACR – Austrian Cooperative Research (Präsentation zum DOWNLOAD)