Moderne Informationstechnologien verändern nicht nur die Art, wie wir kommunizieren, sie verändern unsere gesamte Gesellschaft. Schon in wenigen Jahren wird Politik grundsätzlich anders funktionieren als noch heute. Bereits jetzt ermöglichen moderne Informationstechnologien neue Formen der Bürgerbeteiligung. Das reicht von der Auseinandersetzung um den Bau des neuen Bahnhofes in Stuttgart bis hin zu den politischen Umwälzungen des „arabischen Frühlings“. Noch sind allerdings wichtige Fragen des Datenschutzes oder der Verwertung von Informationen ungeklärt, waren sich die Podiumsteilnehmer und Zuhörer beim Arbeitskreis 13, „Moderne Technologien und ihre Rolle in Demokratieprozessen“ einig. Der Arbeitskreis war mit mehr als 70 TeilnehmerInnen sehr gut besucht.
Mit eindrucksvollen Zahlen demonstrierte Anton Aschwanden, Google Policy Manager für Österreich und die Schweiz, die Dimensionen, die die moderne Informationsgesellschaft heute angenommen hat. Im Frühjahr 2011 gab es bereits 325 Millionen Websites weltweit, pro Minute werden 100.000 Kurznachrichen über Twitter verbreitet und 72 Stunden Videos auf YouTube hochgeladen. Dieser „user-generated content“ bedeute eine unüberschaubare Fülle an frei verfügbaren Informationen, die in früheren Jahrzehnten undenkbar gewesen wären.
Allerdings, schränkte Bernhard Palme, Professor am Institut für Alte Geschichte, Papyrologie und Epigraphik der Universität Wien ein, fehle dadurch auch zunehmend der Selektionsprozess, der mit den bisherigen Instrumenten der Massenkommunikation, insbesondere im Buchdruck, Hand in Hand ging. Im Bereich der Wissenschaft sei ein Mangel an kritischer, qualitätsorientierter Arbeit bereits deutlich merkbar, so Palme. „Kopieren ist leichter als kapieren“, meinte der Papyrologe.
Für eine funktionierende Cyberdemokratie reiche es jedenfalls nicht aus, nur Meinungsäußerungen in Foren oder Sozialen Netzwerken zu posten, so der Journalist und Blogger Matthias G. Bernold: „Erfolgreiche Bewegungen brauchen eine online- und eine offline-Strategie.“ Erfolgreich sei, wer über die beste Organisation verfüge. In den nächsten Jahren werde sich die Art, wie Politik funktioniere, jedenfalls grundlegend ändern. Politiker würden ihren Expertenstatus verlieren und zu Moderatoren werden. Die modernen Informationstechnologien führten aber bereits heute dazu, dass neue Formen der Bürgerbeteiligung die Politikverdrossenheit der vergangenen Jahre ablösen, so Blogger und Buchautor Bernold.
Als Moderatoren verstehen sich auch die Aktivisten der Piratenpartei in Österreich. Nach Rodrigo Jorquera, Mitglied des Bundesvorstandes, stehen bei der Piratenpartei weniger herkömmliche politische Positionen im Zentrum, sondern die Strukturen, wie Beschlüsse gefasst werden. Diese Form der Politik - „Schwarmintelligenz“ (also quasi eine Form von Internet-Basisdemokratie) statt Parteiprogramm – fand bei TeilnehmerInnen und Podiumsgästen allerdings nicht nur Zustimmung.
Von Basisdemokratie sei in China jedenfalls noch wenig zu bemerken, so die Moderatorin Cornelia Vospernik, langjährige ORF-Korrespondentin in China. Sie schilderte die Strukturen der chinesischen Internet-Zensur aus persönlicher Erfahrung. Allerdings dürfe man nicht glauben, dass alle chinesischen Internet-Nutzer nur am Umsturz des Systems interessiert seien, ganz im Gegenteil. Auch in China sei das Internet vorrangig ein Platz der Alltagskommunikation, des Spielens und Shoppings.
Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien hätten zwar einen wesentlichen Anteil am Umsturz des politischen Systems in Ägypten gehabt, berichtete Karim El-Gawhary, ORF-Korrespondent für den Nahen Osten. Man dürfe aber nicht vergessen, dass ein Drittel der Ägypter nicht lesen könnten und nur ein Viertel überhaupt Zugang zum Internet hätte.
Wesentlich für die neue Form der Politik sei es, die derzeit brennenden Fragen des Datenschutzes zu klären, waren sich Max Schrems, Gründer und Aktivist von „europe-v-facebook.org“ und Gerald Ganzger, Rechtsanwalt, einig. Während für Schrems vor allem das Vertrauen in die Technologie wichtig ist, relativierte Ganzger die Hoffnung auf eine schnelle Klärung der rechtlichen Situation. Es gäbe Konflikte verschiedener Rechtsgüter, das Internet-Recht sei eine permanente Gratwanderung. „Es gibt noch viel zu tun, aber mit rechtlichen Maßnahmen allein werden wir nicht das Auslangen finden“, so der auf Internet-Recht spezialisierte Rechtsanwalt. Es gehe nicht darum, ein „Bashing“ zu betreiben, sondern wir müssten lernen, mit den neuen Medien umzugehen.
Generalconclusio: Die Art, wie Politik funktioniert, wird aufgrund der modernen Informationstechnologien in wenigen Jahren grundlegend anders aussehen als heute.
Anmerkung: Professor Stefan Hopmann musste aufgrund einer Terminkollision kurzfristig seine Teilnahme am Arbeitskreis absagen.